Die gezielte Lenkung der Bevölkerung zu Kasernen am 15. Juli war geplant.

Die gezielte Lenkung der Bevölkerung zu Kasernen am 15. Juli war geplant.
28/12/2025

Obwohl es als nachvollziehbar angesehen werden kann, dass zivile Bürger zur Verteidigung der Demokratie auf die Straße gehen, liegt die uneingeschränkte Verantwortung bei den staatlichen Entscheidungsträgern und öffentlichen Amtsträgern, die die Bevölkerung durch Aufrufe auf die Straße bewusst einer Gefahr ausgesetzt und sie mitten in Provokationen gebracht haben. Ebenso ist offensichtlich, dass nicht jedes Element, das auf die Straße ging, dies zum Schutz der Demokratie tat, sondern dass auch Akteure mit provokativer Absicht beteiligt waren. An diesem Punkt drängt sich eine Frage auf:

Haben Polizei und der Nationale Nachrichtendienst (MİT) die Bevölkerung gezielt zu militärischen Kasernen gelenkt, um dort einzugreifen?

Dieses Thema stellt einen eigenständigen und zentralen Aspekt zur Aufklärung der tatsächlichen Geschehnisse des 15. Juli dar. Dass sämtliche im Staatsapparat tätigen Amtsträger auf dieselbe Vorgehensweise hinweisen, die in den Medien wiedergegebenen Aussagen des damaligen Generaldirektors der Polizei Mehmet Celalettin Lekesiz sowie die Bemühungen der sogenannten Avrasya-Schule, die Bevölkerung auf die Straße zu mobilisieren, sind deutliche Hinweise darauf, dass das Auf-die-Straße-Bringen der Bevölkerung und ihre Lenkung zu militärischen Kasernen im Voraus geplant und durchdacht waren.

In ihrer offiziellen Erklärung nach dem 15. Juli gab die Türkische Armee (TSK) an, dass lediglich 1,5 % des Militärs an den Ereignissen beteiligt gewesen seien. Auch die Menge des eingesetzten militärischen Geräts sei sehr gering gewesen. Der Personalbestand der TSK belief sich auf rund 570.000 Personen, darunter etwa 247.000 Offiziere und Unteroffiziere sowie 271.000 zivile Angestellte, Arbeiter, Soldaten und Unteroffiziere. Trotz eines Bestands von rund 300 Kampfflugzeugen, 2.500 Panzern und 170 Militärschiffen waren nur sehr wenige Flugzeuge, Panzer und Schiffe in die Ereignisse involviert. Angesichts der äußerst begrenzten Zahl beteiligter Soldaten ist klar erkennbar, dass es nicht notwendig gewesen wäre, Zivilisten zur Niederschlagung der Ereignisse einzusetzen. Während hierfür die rund 273.000 Angehörigen der Polizei, die etwa 276.000 Angehörigen der Gendarmerie sowie Hunderttausende nicht beteiligte Militärangehörige völlig ausreichend gewesen wären, wurde die Zivilbevölkerung unter dem Vorwand, den angeblichen Putsch zu stoppen, gezielt den Soldaten gegenübergestellt.

Die von den regierungsnahen Medien verwendete Rhetorik von einer „Bevölkerung, die unter Inkaufnahme ihres Lebens die Demokratie verteidigt“, die Bilder von niedergewalzten und erschossenen Zivilisten sowie von gelynchten Soldaten wurden dazu benutzt, die nach dem 15. Juli unter Missachtung der Verfassung und der Gesetze eingeführten antidemokratischen Zustände und illegalen Maßnahmen zu legitimieren und öffentliche Zustimmung zu gewinnen.

Die auf die Straßen strömenden Menschenmengen wurden mancherorts als Schutzschilde für die Polizei benutzt. Die überwiegende Mehrheit der Todesfälle entstand nicht durch Schüsse von Soldaten, sondern durch Waffenfeuer aus unterschiedlichen Richtungen, deren Urheber bis heute nicht eindeutig festgestellt werden konnten.

Die Möglichkeit, dass die Bevölkerung als lebender Schutzschild missbraucht wurde, ist ein Thema, das sowohl vor der Geschichte als auch vor dem Andenken der Getöteten mit höchster Priorität untersucht werden muss. Zur Bestimmung der Verantwortlichkeit bei Todesfällen kann beispielhaft ein Bankraub herangezogen werden: Notwehr ist nur für Amtsträger zulässig, die im Rahmen einer rechtmäßigen Handlung agieren. Es ist eine offenkundige Tatsache, dass es keine direkt gegen die Bevölkerung gerichtete Handlung gab. Vielmehr befand sich innerhalb der Bevölkerung eine zuvor motivierte und vorbereitete Gruppe.

Dass Teile der Bevölkerung oder bestimmte Parteibasen im Voraus organisiert wurden, ist wiederholt untersucht worden; die von den Zeitschriften Foreign Affairs und Focus vorgelegten Belege sind hierzu bereits angeführt worden.

Auch die auffälligen Anrufe des Polizeipräsidenten von Ankara im Generalstab um 22:05 Uhr lassen sich weder durch Zufall noch durch besonderen Diensteifer erklären. Denn aus den Funkgesprächen geht hervor, dass die operativen Vorbereitungen bereits um 21:29 Uhr abgeschlossen waren. Für die gleichzeitige Anwesenheit des Garnisonskommandeurs Metin Gürak gibt es hingegen keinerlei nachvollziehbare Erklärung.

Dass der von der Staatsanwaltschaft Ankara angeforderte Funkverkehr nur aus ausgewählten Abschnitten der Kanäle für Ordnungspolizei, Bereitschaftspolizei und Reviere bestand, dass der Zeitraum vom 15.07.2016, 18:00 Uhr bis 16.07.2016, 08:00 Uhr, insbesondere die Zeit zwischen 18:00 und 21:30 Uhr, von der Polizeizentrale nicht vollständig übermittelt wurde und dass das Gericht hierauf nicht weiter bestand, zeigt, dass das Geschehen nicht nur auf diese eine Nacht beschränkt war.

Die Auswertung der kontrolliert übergebenen Funkaufzeichnungen zeigt, dass militärische Kasernen von Beginn an unter polizeilicher Beobachtung standen und dass gemäß einem bestimmten Plan entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden. Dennoch wurden die an diesen Gesprächen beteiligten und eingesetzten Polizisten trotz wiederholter Forderungen dem Gericht entzogen.

Ebenso geht aus den Funkprotokollen eindeutig hervor, dass die Planung, Koordination, Führung und Steuerung des massenhaften Einsatzes von Zivilisten als lebende Schutzschilde gegen gepanzerte Fahrzeuge durch Polizeieinheiten erfolgte.

Obwohl ersichtlich war, dass militärische Einheiten gegenüber der Bevölkerung keine aggressive Haltung einnahmen und Schaden zu vermeiden suchten, wurde die Bevölkerung gezielt provoziert, um daraus Kapital zu schlagen. Auch die Bereitstellung zuvor geschulter Personen zur Übernahme und Nutzung von Panzern spiegelt sich klar in den Gesprächen wider. Aussagen von Angeklagten, Nebenklägern und Zeugen sowie die polizeilichen Funkaufzeichnungen belegen eindeutig, dass Panzer besetzt und ihre Besatzungen gelyncht werden sollten.

Es ist somit offensichtlich, dass dieses Geschehen, das als demokratische Reaktion der Bevölkerung dargestellt wurde, tatsächlich vorab geplant und organisiert war und die Bevölkerung gezielt als lebender Schutzschild eingesetzt wurde.

Dieses gefährliche Spiel konnte nur dank der Selbstdisziplin der Türkischen Streitkräfte sowie der Besonnenheit und Opferbereitschaft der Besatzungen, die selbst unter der Gefahr der Lynchjustiz standhielten, verhindert werden. Angesichts des Militärdienstgesetzes und der Befugnisse der Soldaten zum Waffeneinsatz konnte diese provokative Aktion allein durch Disziplin und Umsicht bis zum letzten Moment abgewehrt werden.

Demgegenüber handelten die Sicherheitskräfte entgegen ihrer gesetzlichen Pflicht aus dem Polizeigesetz, bei der Bekämpfung von Straftaten Maßnahmen zu ergreifen, die der Bevölkerung keinen Schaden zufügen. Stattdessen setzten sie ohne Zögern die Bevölkerung als lebende Schutzschilde ein.

In diesem Zusammenhang ist auch der von Levent Gültekin veröffentlichte Artikel bedeutsam, der in die Zeit fällt, in der der geheime Zeuge Abdullah behauptete, dem Präsidenten einen Monat vor dem 15. Juli ein Putschbriefing gegeben zu haben. Eine Regierung, die einen Bürgerkrieg anstrebt, wird darin offen thematisiert; das Muster wird von höchster militärischer Ebene selbst eingewebt.

In den Verteidigungen wurde zudem herausgearbeitet, dass Polizisten in Zivil die Zivilbevölkerung zur Besetzung von Kasernen lenkten und sogar führten, während gleichzeitig die Anweisung erging, dass uniformierte Kräfte nicht sichtbar sein sollten. Obwohl Bildmaterial dieser Personen vorliegt und die Getöteten als ungeklärte Fälle behandelt wurden, wurden auch diese Polizisten den Gerichten entzogen.

Ebenso finden sich in den Gerichtsakten Aufnahmen von geheimnisvollen Personen in ziviler Aufmachung, die im Rahmen der Besetzung des Generalstabs und der Lynchversuche militärisches Personal aufwiegelten. Es ist offensichtlich, dass verschiedene Gruppen innerhalb einer gemeinsamen Planung und Befehlskette versuchten, die Zahl der Opfer zu erhöhen.

Den Protokollen der parlamentarischen Untersuchungskommission zum Putsch zufolge zeigt die zeitliche Analyse der Ereignisse, dass auf Anweisung des Präsidenten spätestens ab 21:30 Uhr mit der Mobilisierung der Bevölkerung begonnen wurde und dass die Menschenmengen bereits eine halbe Stunde vor der Verkündung des Kriegsrechts sowie vor den angeblichen Putschmeldungen in WhatsApp-Gruppen vor die Kasernen gebracht wurden. In Zusammenschau mit den Vorbereitungen der Kommunen, der Koordination von Religionsbehörde und MİT, dem Krisenstab der Polizei, den Haftanordnungen der Staatsanwaltschaft sowie den Ortswechseln des Präsidenten wird deutlich, dass die Bevölkerung am 15. Juli nach einem klaren Plan und Programm in Bewegung gesetzt wurde. In den Verfahren zum Generalstab, zu Akıncı und zur Gendarmerie-Generaldirektion ist anhand von Polizeifunkaufzeichnungen dokumentiert, dass Polizisten in Zivil angewiesen wurden, die Bevölkerung ohne Offenlegung ihrer Identität als lebende Schutzschilde einzusetzen und dass sich die Ereignisse exakt entsprechend diesen Anweisungen entwickelten.

Umut Güçlüer